Dienstagsdialog des Förderfonds Wissenschaft in Berlin

Wo wir gut und gerne leben.
Räumliche Bevölkerungsentwicklungen und ihre Folgen

2. Februar 2021

 
Mit Prof. Norbert F. Schneider

Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung
 

Die Frage, wo wir gut und gerne leben, lässt sich nur auf den ersten Blick einfach beantworten. Norbert Schneider widmete sich in seinem Dienstagsdialog einigen überraschenden Befunden aus der Bevölkerungsforschung: 

Regionen mit einer hohen Bevölkerungsdichte seien nach wie vor wichtige Zuzugsgebiete. Dies zeige sich in Deutschland deutlich in Regionen wie dem Ruhrgebiet oder an Städten wie Potsdam oder Leipzig, aber etwa auch im Ausland, beispielsweise in der Poebene, den Beneluxländern oder in Städten wie Paris oder Moskau. 

Trotz wachsender Städte scheint der lange dominierende Trend zunehmender Urbanisierung in Deutschland, nicht jedoch global, an einen Wendepunkt gelangt zu sein. Vor rund 100 Jahren wohnten noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland in Dörfern unter 5.000 Einwohnern. Heute sind es nur noch 14 Prozent. Seit 2012 ist jedoch eine Trendumkehr und eine durchaus erhebliche Suburbanisierung zu beobachten. Weltweit ist der Urbanisierungstrend dagegen ungebrochen. 2012 lebten erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Gegenwärtig beträgt dieser Anteil bereits 56 Prozent. 

Auffällig ist daneben auch der Trend zur "Multilokalität", also das gleichzeitige Wohnen an mehr als einem Ort. Die Mobilität habe zugenommen, dadurch aber auch die Belastungen aus einer Pendeltätigkeit. Zu Beginn des Jahres 2020 gab es rund 41 Millionen Berufspendler in Deutschland. Diese legen täglich im Durchschnitt 32 km zurück, dafür benötigen sie im Mittel 46 Minuten pro Tag.

Im Mittel zögen die Deutschen vier- bis fünfmal in ihrem Leben um, wobei jedoch im Mittel nur einer dieser Umzüge ein Fernumzug sei. Ein erheblicher Teil der Menschen zeige dagegen eine gewisse "Sesshaftigkeit": Rund ein Drittel der in Deutschland beheimateten Menschen lebe noch in ihrer Geburtsregion und sei allenfalls innerhalb der Region um-, aber niemals daraus weggezogen. Im Gegensatz zur amerikanischen Stereotype „Aufbruch zu neuen Ufern“ scheine diese Beständigkeit ein eher typisches deutsches Verhaltensmuster zu sein. 

"Heimat ist dort, wo ich handlungsfähig bin", sagt Norbert Schneider. Allerdings fühlten sich neu hinzugezogene Menschen oftmals nicht so stark mit der neuen Region verbunden. Dies ließe sich etwa in Hamburg oder Leipzig beobachten. Heimat entkoppelte sich immer stärker von einem regionalen Bezug. Zudem werde ein Wohnort heute häufig nur noch als temporäre und nicht mehr als permanente Bleibe wahrgenommen.

Unsere Vorlieben für eine bestimmte Region würden sich im Lebensverlauf ändern. Entscheidend für den Umzug in eine bestimmte Region sei dessen Image. Das "Branding" einer Stadt oder einer Region sei insofern als entscheidender Faktor für deren Wachstumschancen anzusehen.

"Wo wir gut und gerne leben verändert sich. Ein dynamischer Prozess, der einer Vielzahl von Faktoren wie Arbeitsmarkt, Infrastruktur, Wohnqualität, aber auch Kinderbetreuung und Freizeitangebote unterliegt. Deren Bewertung verändert sich im Laufe des Lebens, was schließlich auch zu einem Umzug führen kann. Wir müssen diese Faktoren miteinander in Beziehung setzen und stets neu bewerten. Denn auch eine Zeit wie die, in der wir gerade leben, muss in die Betrachtung einfließen. Die Frage, welchen Einfluss die Corona-Pandemie auf die Art hat, wie wir gut und gerne leben, ist noch offen, aber sie könnte den Trend zum Wegzug aus den Großstädten beschleunigen. Dieser Dienstagsdialog hat versucht, Impulse für eine Diskussion zu setzen, die zur Beantwortung dieser Frage beitragen kann", schließt Norbert Schneider.