Dienstagsdialog des Förderfonds Wissenschaft in Berlin

Bildung entscheidet. Über die Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeitsbiographie

4. Mai 2021

 
Mit Prof. Dr. Heike Solga

Direktorin der Abteilung "Ausbildung und Arbeitsmarkt" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Professorin für Soziologie mit Schwerpunkt Arbeit, Arbeitsmarkt und Beschäftigung an der Freien Universität Berlin, Ordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW)

 
Heike Solga beleuchtet in ihrem Dienstagsdialog
Voraussetzungen, die über eine erfolgreiche Arbeitsbiographie entscheiden. Wer bleibt nach dem Schulabschluss ohne Ausbildung? Warum haben gering Qualifizierte schlechtere Arbeitsmarktchancen? Und warum nehmen sie weniger an Weiterbildungsmaßnahmen teil, obwohl sie diese doch am meisten benötigen?

Bildungsgerechtigkeit gehört zu den drängenden sozialen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Zur Beantwortung der Frage, wer nach dem Schulabschluss ohne Ausbildung bleibt, beschreibt Heike Solga ein Paradox des Berufsbildungssystems. Einerseits würden viele Betriebe darüber klagen, dass sie händeringend nach Lehrlingen suchten. Andererseits begeben sich jedes Jahr aufs Neue Tausende von Jugendlichen nach ihrem Schulabschluss zunächst in "berufsbegleitende Maßnahmen". Hierzu gehörten zu großen Teilen die Hauptschülerinnen und Hauptschüler. Und genau diese Gruppe der Schulabsolventen hätte bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz zunehmend schlechte Karten. Ein Teufelskreis, den es aufzubrechen gelte.

Entscheidend für die Rekrutierungsprozesse in Betrieben seien vorrangig Zertifikate (Schulabschluss, Schultyp und Abschlussnoten), während Sozialkompetenzen wie Gewissenhaftigkeit, emotionale Stärke oder prosoziales Verhalten hier kaum eine Rolle spielten. Heike Solga schlug vor, dass die Betriebe ihre Rekrutierungspraktiken überdenken sollten. So würden diese in einem ersten Schritt Zertifikate begutachten und nach dieser Auswahl die besten Bewerberinnen und Bewerber zu einem Test einladen. Wenn die Reihenfolge anders herum abliefe, könnten sich auch diejenigen durchsetzen, die auf dem klassischen Wege keine Chance auf einen Ausbildungsplatz bekämen, aber dennoch über ein hohes Potenzial verfügten. 

Viele Betriebe würden heute bereits auf ein duales Studium setzen, damit sie ihre Ausbildungsplätze erfolgreich vergeben könnten. Dies hinge auch mit der Tatsache zusammen, dass sich Betriebe daran gewöhnt hätten, Jugendliche mit sehr guten Noten, Realschulabschluss oder sogar Abitur für eine Ausbildung zu gewinnen. Hier habe sich in den vergangenen zwanzig Jahren viel getan auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt. So würde es Jugendlichen mit Realabschluss heute leichter gemacht, ihr Abitur auf einem beruflichen Gymnasium zu absolvieren. Die Attraktivität einer Ausbildung habe zugunsten anderer Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen insgesamt stark gelitten.

Die Frage, warum gering Qualifizierte schlechtere Arbeitsmarktchancen aufwiesen, lässt sich Heike Solga zufolge hauptsächlich durch fehlende Zertifikate und weniger durch fehlende Kompetenzen erklären. Hier sei es zentral, Aus- und Weiterbildungsangebote zu schaffen, um Arbeitsmarktchancen zu erhöhen. Es sei wichtig, solche Angebote auch im späteren Lebensverlauf zu machen. Eine klassische Ausbildung starte man in der Regel, bevor man 25 Jahre alt sei. Diese Altersgrenze gelte es zu überdenken, um Potenziale zu stärken und persönliche Weiterentwicklung zu unterstützen. Zudem sei bei der Frage der Arbeitsmarktchancen auch das persönliche Umfeld von Jugendlichen besser zu verstehen. Häufig gehe ein schlechtes Arbeitsergebnis nicht mit fehlender Kompetenz oder Motivation, sondern mit schwierigen Lebensumständen im privaten Umfeld einher. Hier könnten Betriebe durch Gespräche und einfühlsames Verhalten große Unterschiede durch kleine Veränderungen, wie etwa einem späteren Arbeitsbeginn oder Einführung von regelmäßigen kleinen Gesprächsrunden, erwirken.

Auch die Frage danach, warum gering Qualifizierte weniger an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen würden, lässt sich weniger mit fehlenden Kompetenzen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als vielmehr mit den Bedingungen am Arbeitsplatz selbst beantworten. Wieviel Zeit und Geld sind Betriebe bereit, in Weiterbildung zu investieren? Werden diese Angebote angenommen, und zu welchen Ergebnissen führen sie? Diesen Fragen müssten sich nicht nur die Betriebe, sondern auch die Politik in Deutschland stellen.

"Bildungsarmut, Langzeitarbeitslosigkeit und Brüche im eigenen Lebenslauf können für den Einzelnen verheerend sein. In der heutigen Wissens- und Transfergesellschaft ist es unerlässlich, nicht nur betrieblich abgesichert zu sein, sondern auch die Chance auf stete Weiterbildung zu erhalten. Die heutige Diskussion im Rahmen des Dienstagsdialogs hat deutlich gemacht, an wie vielen Strippen gezogen werden muss, um soziale Ungleichheit im Bildungssystem zu bekämpfen", resümiert Heike Solga zum Schluss.