Dienstagsdialog des Förderfonds Wissenschaft in Berlin

Die Ausdehnung des Erwerbslebens in höhere Alter:
Trends, soziale Unterschiede und Ost-West-Differenzen

8. Februar 2022

 
Mit Dr. Sebastian Klüsener

Forschungsdirektor Demografischer Wandel und Langlebigkeit
am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), Wiesbaden
 

Dr. Sebastian Klüsener stellt in seinem Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe der Dienstagsdialoge seine Forschung zur "Ausdehnung des Erwerbslebens in höhere Alter: Trends, soziale Unterschiede und Ost-West-Differenzen" vor. In einer Forschungskooperation zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung und vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung geht Dr. Klüsener dieser gesellschaftlich relevanten wie komplexen Fragestellung nach. Er präsentiert dabei Ergebnisse für die Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Alter zwischen 55 und 64 Jahren.

Die alternde Bevölkerung führt in Deutschland vor allem auf dem Arbeitsmarkt, im Renten- sowie im Gesundheitssystem zu großen Herausforderungen. Die große Renteneintrittswelle der alternden Babyboomer-Generation steht direkt bevor. Sebastian Klüsener zeigt als Einstieg drei Bevölkerungspyramiden, die das fortschreitende Altern dieser geburtenstarken Generation eindrucksvoll aufzeigen.

Für die Frage, wie wir als Gesellschaft diesen Alterungsprozess erfolgreich gestalten, spielt es vor allem eine Rolle, wie sich die Erwerbstätigkeit im höheren Erwerbsalter (55-64 Jahre) entwickelt. Diese Altersgruppe ist sehr wichtig für den Arbeitsmarkt, und durch eine Erhöhung der Erwerbstätigkeit oder der generell geleisteten Arbeitsstunden kann sich hier eine Entlastung zeigen. Auch dass Menschen mit höherer Qualifikation länger arbeiten, ist für die zukünftige Entwicklung von Bedeutung, da die zukünftigen Alten durchschnittlich höhere Bildungsniveaus haben werden.

Im weiteren Verlauf des Vortrags bietet Sebastian Klüsener einen kurzen Überblick über Maßzahlen, wie man die Anzahl der Erwerbstätigen nach Alter quantifizieren kann. Er fokussiert seine Ausführungen dann auf die Erwerbslebensdauer, die auf ähnlichen Berechnungen beruht, wie sie für die Ermittlung der allgemeinen Lebenserwartung von Bevölkerungen verwendet werden. Die Erwerbslebensdauer misst die Lebensdauer im Erwerbsleben. Diese Maßzahl wird in diesem Projekt mit Daten des Mikrozensus berechnet, welche eine hohe Repräsentativität aufweisen. Nach Geburtsjahrgängen kann so gezeigt werden, wie sich die Erwerbslebensdauer in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert hat. Auch eine Einbeziehung der Wochenarbeitszeit und die Veränderung über die Zeit liefern wertvolle Einblicke in die ablaufenden Prozesse. Die geleisteten Arbeitsjahre in der Altersgruppe haben sich für westdeutsche Männer signifikant von 5,5 Jahren auf über sieben Jahre erhöht (von zehn möglichen Arbeitsjahren im Alter zwischen 55 und 64 Jahren). Bei Frauen ist ein vergleichbarer Trend zu verzeichnen, allerdings auf niedrigerem Niveau. In Ostdeutschland sehen wir ähnliche Verläufe, wobei die Unterschiede zwischen Männern und Frauen geringer sind.

Auf Basis der Analysen zur Entwicklung der Erwerbslebensdauer geht Sebastian Klüsener der Frage nach, welche Tendenzen für die Zukunft zu erwarten sind. Über einige Geburtsjahrgänge hinweg konnte er eine starke Expansion der Erwerbsbeteiligung bis in höhere Erwerbsalter beobachten. Auch steigt der Anteil der Personen, die weit über das Alter 65 hinaus erwerbstätig sind. In den letzten Jahren scheint die Expansion des Erwerbslebens in höhere Alter aber nachzulassen und in eine Stagnationsphase überzugehen.

Sebastian Klüsener schließt mit dem Fazit, dass die Untersuchung der Erwerbslebensdauer und die Geburtsjahrgangsperspektive wesentliche Erkenntnisse für die Erwerbstätigkeit im höheren Erwerbsalter liefern. Frauen haben gegenüber Männern aufgeholt, arbeiten aber als Folge von Auszeiten für Sorgearbeit oft nicht Vollzeit, bei starken Ost-West-Unterschieden. Die Bildungsexpansion der 1970/1980er Jahre lässt hoffen, dass zukünftig weitere Anstiege der Erwerbstätigkeit im höheren Erwerbsalter möglich sind, da Personen mit höherer Bildung oft später in die Rente gehen. Sorge bereitet aber die aktuell beobachtete Tendenz zum Renteneintritt im Alter um die 63 Jahre. Hier scheint sich eine neue Norm auszubilden, die eventuell auch auf "Ansteckungseffekte" zurückgeführt werden kann, bei denen Personen mit frühen Renteneintritten als Vorbild für andere Personen fungieren, wodurch diese ebenfalls früh in die Rente eintreten.

Grundsätzlich müssen sich Gesellschaft, Wirtschaft und Politik dafür einsetzen, dass der Übergang ins Rentenalter individuell und flexibel gestaltet werden kann, passend für den Einzelfall, um so bestehende Potenziale bei der Ausweitung der Erwerbsarbeit in höhere Erwerbsalter besser nutzen zu können. Dies ist vor dem Hintergrund der Bedeutung, die sinnstiftende Aufgaben für gesundes Altern haben, und der verlängerten Lebenserwartung mit langen Lebensspannen im Ruhestand von immenser Bedeutung für die Herausforderung einer alternden Gesellschaft. Dabei können wir auch viel von Nachbarländern in Europa lernen.