Dienstagsdialog des Förderfonds Wissenschaft in Berlin

Gesellschaftliche Teilhabe jenseits urbaner Zentren:
Wie können wir Transformationen in
strukturschwachen Räumen nachhaltig gestalten?

1. März 2022

 
Mit Prof. Dr. Patrizia Nanz

Vizepräsidentin des Bundesamtes für die
Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), Berlin
 

Patrizia Nanz arbeitet seit über zwanzig Jahren zum Thema Bürgerbeteiligung und Transformation nachhaltiger Gesellschaften, und dies nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Praxis. Derzeit ist sie Vizepräsidentin des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung und beschäftigt sich zugleich mit Prozessen von Regionalentwicklung und Strukturwandel.

Ihre Forschungsarbeit bewegt sich dabei insbesondere im theoretischen Rahmen des Zusammenhangs von Teilhabe und Transformation: Wie kann man die Demokratie stärken und einen Wandel "von unten" gestalten? Wie kann man Innovationspotenziale der Gesellschaft aktivieren und bei der Entscheidung über Zukunftsfragen das "Gemeinwohl" stärker zur Geltung bringen? Und wie kann man die öffentliche Verwaltung dazu befähigen, diese Transformationsprozesse zu unterstützen und eine Verzahnung und einen besseren Austausch aller Akteure zu gewährleisten – im Sinne einer "beteiligenden Verwaltung"?

Der Fokus des Vortrags lag auf der Stärkung partizipativer Elemente in Transformationsprozessen, auf innovativen Dialogformaten sowie neuen Formen von Public-Private-Partnership. Professorin Nanz beschrieb dabei drei Lernprozesse, die für das Gelingen partizipativer Formate wichtig sind:

1) Die kommunale Verwaltung muss lernen, mit den Kräften vor Ort aus Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam zu agieren;
2) kommunale Politik und Verwaltung sollten Allianzen mit anderen Regionen schmieden, um Querschnittsthemen und übergeordnete Fragestellungen zu eruieren und gemeinsam effizienter bearbeiten zu können;
3) die Innovationspotenziale von Kommunen sowie auf den Ebenen von Bund und Europäischer Union müssen in einem übergeordneten Rahmen zusammengeführt werden, der auch Feedbackschleifen zwischen diesen Ebenen ermöglicht. Professorin Nanz gab aber auch zu bedenken, dass sich Bürgerbeteiligung und partizipative Formate nicht für alle Fragestellungen eignen.

Die Themen "open government" und eine größere Durchlässigkeit und vor allem größtmögliche Handlungsautonomie der Kommunen sollten mehr in den Vordergrund gerückt werden. Nur so könnten "Leuchtturmkommunen" entstehen, die für andere Gebietskörperschaften beispielgebend wirken. So hat zum Beispiel die Stadt Leuven in Belgien unter Einbindung der regionalen Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft mit über sechzig Partnern und der Stadtverwaltung die Erreichung der Klimaneutralität der Stadt selbst in die Hand genommen und so viele wichtige Aktionen und Netzwerke ins Leben gerufen. Diese Bemühungen gipfelten 2020 in der Ernennung zur "Europäischen Hauptstadt der Innovation".

Professorin Nanz stellt zwei Projekte näher vor, welche die Transformation von unten und die gesellschaftliche Mitgestaltung fördern: einmal das deutsch-französische Zukunftswerk und das Projekt Losland. Ziel der partizipativen Arbeit ist es hier, notwendige regulatorische und finanzielle Rahmenbedingungen auf übergeordneter Ebene zu identifizieren und ihre Bedeutung für das Gelingen eines Dialogs aller beteiligten Partner zu eruieren.

"Losland" ist eine Art Projektschmiede. Ansatz des Projekts ist die Erkenntnis, dass Vor-Ort-Kräfte wie Gemeinderäte und Bürgermeister für den Erfolg von Veränderungsprozessen eine entscheidende Rolle spielen. In Deutschland wurden deshalb aus den Bewerbungen um eine Teilnahme zwölf Kommunen per Losverfahren ausgewählt. Die Kommunen wurden auf "Enkeltauglichkeit" geprüft, und es wurden Narrative erfolgreicher Zukunftsgestaltung entwickelt. Sogenannte "Zukunftsräte" wurden eingerichtet und deren Ergebnisse in einem "Zukunftsforum" zusammengeführt. Das Projekt konnte dadurch ein plurales Abbild einer diversen Gesellschaft herstellen. Von enormer Wichtigkeit sind der Transfer der Ergebnisse und die Verzahnung mit den betroffenen Ressorts in Politik und Verwaltung sowie die Vernetzung der beteiligten Kommunen.

Das Deutsch-Französische Zukunftswerk möchte durch Austausch vieler Akteure den gesellschaftlichen Transformationsprozess in einem beteiligenden Format vorantreiben. Ziel ist es, die innovativsten "Pioniere" zu scouten. Hierfür wurden sechs Kommunen in Deutschland und Frankreich ausgewählt. Auch in diesem Projekt ist die Bereitschaft der Entscheidungstragenden zur vorbehaltlosen Mitwirkung eine Grundvoraussetzung. Es sollen Muster identifiziert werden, die zu Blockade beziehungsweise zum Gelingen des kommunalen Transformationsprozesses beitragen. Die beteiligten Akteure und die Verwaltung treten dazu in einen Dialog und organisieren einen Erfahrungsaustausch. So können Ausgangsbedingungen für erfolgreiches Handeln und neue Ideen evaluiert werden. Ergebnis ist ein systematisierter Lernprozess und die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen auf der Basis von Co-Creation. Auch die Rahmenbedingungen auf Bundesebene spielen eine wichtige Rolle, um die Innovationskraft der Kommunen zu stärken. Diese sollen nicht nur Mittel abrufen, sondern auch innovative Idee umsetzen, um den sozial-ökologischen Wandel voranzutreiben und die wirtschaftliche und soziale Resilienz zu erhöhen.

Professorin Nanz schließt mit der Feststellung, dass Lernprozesse ein wesentlicher Bestandteil partizipativer Formate sind und die daraus hervorgehenden Empfehlungen die Handlungsfähigkeit des Staates erhöhen. Diese Stärkung der Demokratie und der offenen Gesellschaft und ihrer Pluralität sind heute wichtiger denn je.